Erinnerungen an einen heissen Herbst
Rien ne va plus, nix geht mehr. Man tritt vor die Haustür und Endegelände, weiter kommt der Hausaustreter nicht: Flammen schiessen auf, markerschütterndes Getöse umbraust ihn, Nasenhöhlen verbrennen, Lungenflügel platzen. Hirn und Augäpfel entweichen dem Schädel.
Dies sei gar nicht das Purgatorium? Eine Baugrube lediglich, eine Wegverbesserungsmaßnahme?
Lediglich?! Richig ist: Eine Baugrube ist eine Baugrube ist eine, Betonung auf “eine”. Viele Baugruben aber machen einen Höllenschlund. Und sehr sehr viele Baugruben sind die Apokalypse. Die Welt, wie wir sie kannten, wird dieser Tage gewendet. Metertief. Es ist die umgreifendste Revolution, die je in Deutschland unterstes zuoberst kehrte.
(Und wie immer in diesem Lande merkt es keiner. Alle deutschen Revolutionen kommen von oben. Die von unten kommenden krepieren mit Sicherheit in jenen Rohren, die bei der letzten Revolution behördlich genehmigt & verlegt wurden.)
Giftig nachtleuchtende Wälder aus Warn- und Umleitungsschildern entwuchern der gewendeten Scholle, vielspurige Magistralen liegen grausam verwüstet und werden vielleicht nie wieder befahrbar. Noch der kleinste Stieg wird gewaltsam aufgebrochen. Die Straßen in der DDR selig, deren Zustand ihre Bewohner einst zu grimmigen Empörern machte, waren wegsamer. Von Hitlers Autobahnen ganz zu schweigen. Wie heißt die verderbensvolle Geißel, die uns heimsucht?
Wodurch die plötzliche Vervielfältigung des Abgründigen, woher die Schächtung dieses Landes? Hier ist die Antwort. Das Land wird vom Konjunkturpaket der Bundesregierung auf-, ein- und endlich niedergerissen. Jenes Geld, das die letzte Krise abmildern helfen sollte. Es muß, so will es seine Bestimmung, bis zum Ende des Jahres ausgegeben sein. Also regnen nun 36,8 Milliarden harte Euro hernieder, und wo sie einschlagen, entsteht ein Baukrater. 36,8 Milliarden Euro schweres Baugerät, Asphaltfräsen, Planierraupen, Richtbohrer betreiben, so der Fachausdruck, kontrollierten Rückbau. Konjunktur beginnt mit Rückbau. “Crescendo”, pflegte unser anthroposophischer Orchesterdirigent Herr Blechert zu sagen, “Crescendo heißt: leise anfangen!”. Ich fürchte der Anfang des Konjunkturprogramms wird lauter gewesen sein, als sein Ende.
Ein starkbärtiger, mittelguter Witz aus der Friedenszeit ging so: “In der Sowjetunion haben sie jetzt eine Maschine gebaut, die säht das Korn, mäht es ab, drischt es, backt Brot daraus und verspeist es am Ende sogar selbst.” – Jede Gesellschaft, und nicht nur die sozialistische, ist eine solche Maschine.
Die Pointe leuchtet so sehr ein, daß man ihr arglos auf den Leim geht. Natürlich stimmt sie spätestens seit dem Prager Fenstersturz nicht mehr.
Sie erinnern sich? Mit dem begann der dreißigjährige Krieg. Während jener grimmelshausenen „Hirn-und-Augen-lagen-auch-allda-Zeit“ entstand das Bewußtsein, daß der Krieg möglicherweise der eigentliche Dauerzustand sei, der Frieden aber die krankhafte Ausnahme. Deutlich geworden in dem berühmten Wallensteinschen Ausspruch vom Kriege, der sich selbst ernährt. Nicht der Friedensmann ist der sich fortzeugende, sondern der Kriegsmann. Weil einmal nichts wachsen kann, wo schon etwas gewachsen ist, sei es Sinn und Einrichtung der Welt, das Gewachsene wieder zu unterpflügen. Das Pfluggerät ändert sich. Nicht ändert sich, daß mit ihm genichtet werden muß, um den Kreislauf des Ewiggleichen in Bewegung zu halten. (Schon Pigor sang diesbezüglich: „Ich heideggere Euch zu Boden!“)
Ich will klar sein. Früher bedurfte es eines handfesten Krieges, einst mit Roßschinder, Schleuder und Armbrust, jüngsthin verbessert zu Luftbombardement und Feuerwalze, um die Infrastruktur eines Landes derart flächendeckend und vollständig zu verwüsten. Aber Kriege sind passè, zumindest vor der Haustür. “Schwerter zu Pflugscharen” heißt das Gebot des Siècles; man pflügt, will das heißen, nunmehr wieder mit krummer Klinge und unterirdisch.
Die moderne Pflügerbombe heisst Konjunkturpaket. Der Übergang ist von der “dumb bomb” zur “smart missile”. Im Gegensatz zur Bombe hat die Rakete ihren eigenen Antrieb; der Krieg unterhält sich auf das Beste.
Die Krise ernährt die Krise. Das ist die Humanisierung der Barbarei, zu der wir seit dem Prager Fenstersturz gelangt sind. Die fieberhafte Tätigkeit, die sich stets entfaltet, um der Krise zu entkommen, heißt Konjunktur. Man weiß nicht, welches Schauspiel den Namen Krise eher verdient: Jenes panische Wirken, das uns heraus reissen soll, oder jenes, das uns hinein reitet. Es ist die selbe Sache. Der Satthals von vorn und der Satthals von hinten. Kraus hätte gesagt, Krise, das ist der Betrieb, der sich für ihren Ausweg hält.
Im Westen haben sie jetzt eine Maschine gebaut, die düngt, indem sie die Felder zu Asche verbrennt, der Asche die prachtvollste Frucht entwachsen läßt, um daraus Biodiesel zu machen, mit dem die Maschine angetrieben wird, die die Felder wieder nieder brennt…