Vortrag vor der Rapoport-Gesellschaft
https://www.rapoport-gesellschaft.org/
I Einleitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Frage wurde mir vorgelegt, ob Profitstreben in den Lebenswissenschaften eine Rolle spielt. Die Frage kann ich mit einem klaren Jein beantworten.
Das „Nein“ im Jein ergibt sich zunächst aus der einfachen Tatsache, dass die Forschung hierzulande wesentlich an den Universitäten und in den Laboren der großen Forschungsgesellschaften besorgt wird. Die werden ihrerseits größtenteils aus allgemein erhobenen Steuern finanziert und können ihre Ergebnisse also in der Regel nicht für einen Gewinn verkaufen.
Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt derzeit bei über 3% und ist damit in den letzten 20 Jahren um fast 30% gewachsen. Das klänge sehr komfortabel, wären nicht im gleichen Zeitraum die Zahl der Forschenden mehr als doppelt so schnell angewachsen — nämlich um 67%[1]. Damit steht pro Forscher etwa 17% weniger Forschungsbudget zur Verfügung als noch vor 20 Jahren; darüber wird zu reden sein[2].
Zunächst aber zu dem „Ja“ im Jein. Es ergibt sich aus der generellen Motivation, aus der Regierungen überhaupt bereit sind, substantielle Summen für die Forschung auszugeben: Weil der allgemeine Glaube herrscht, dass das Wachstum einer Nationalwirtschaft — und damit Wohlstand und sozialer Frieden — letztlich fast ausschliesslich an Innovationen hängt. Dass also eine Nation, die im Wettlauf der Nationalwirtschaften bestehen will, unbedingt in Bildung und Forschung investieren müsse.
Die Idee, dass Innovation der tiefere Grund für jedwedes Wirtschaftswachstum sei, geht auf den österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter zurück, der praktisch ein Zeitgenosse meiner Großeltern war. Hier ist keine Zeit, über die Schumpeterschen Ideen zu handeln; deshalb nur soviel, dass sie inzwischen zum Allgemeinplatz fast jeder ökonomischen Denkrichtung geworden sind; und implizit auch Bestandteil der sozialistischen Ökonomie waren. Im Sozialismus allerdings ging man davon aus, das Wachstum in gesteigerten Gebrauchswert umzusetzen, anstatt in gesteigerten Wert, bzw. Profit. Grundlage des Wachstums aber blieben Innovation und Wissenschaft.
Wie dem auch sei: Nimmt man den Schumpter ernst, dann wird im herrschenden Kapitalismus also durchaus einen Profit aus der Forschung erwartet. Nur eben ein mittelbarer anstatt eines unmittelbaren.
Der erwartete mittelbare Effekt ist der, dass die Wissenschaft als System von Wissensproduktion und Wissen — als Ganzes also — fortschreitet; dass dieser Zuwachs an Wissen in der angewandten Forschung in Technologien umgemünzt werden kann; dass diese Technologien zu neuen Märkten und effizienterer Produktion führen; dass dadurch ein Profit entsteht; und dass dieser Profit endlich wieder zu einem Teil in die Wissenschaft re-investiert wird. So ergäbe sich in einer idealen Welt ein stabiles, selbsterhaltendes System, dass sich wie Münchhausen am eigenen Schopf gleichzeitig aus dem Morast der sozialen Prekarität und der Unwissenheit zu ziehen vermag.
An dieser groben Idee ist viel Schönes; aber in der Realität funktioniert sie dann eher schlecht als recht. Es wird wohl etwas mit der Idee von Wissenschaft als Motor im Rennen der Nationalwirtschaften zusammen hängen. Die Probleme ergeben sich dabei — so wie der erhoffte Nutzen — nicht unmittelbar, sondern mittelbar.