Den unten stehenden Aufsatz habe ich 2009 für das damals noch erscheinende Journal „ARGOS“ verfasst, welches ein erster Versuch war, dem Dichter Peter Hacks eine Nach- und Fachwelt zu schaffen. Im Aufsatz geht es vordergründig um die Unterstellung, dass Peter Hacks womöglich ein Antisemit gewesen sei. Hintergründig jedoch ist es eine Auseinandersetzung mit Antisemitismusvorwürfen gegen die DDR und mit der Frage, wie überhaupt (völkische) Identitäten konstruiert werden und warum sie nach wie vor so wirkmächtig sind. Das Thema kehrt zu meinem Ärger immer wieder. Daß es so hartnäckig an unserer Zeit klebt, mag als Beweis für deren Niedrigstirnigkeit hingehen. Aber es nützt ja nüscht, man kann sich ja die Zeit, in der man lebt, nur sehr beschränkt aussuchen. Deswegen bringe ich den Text ein weiteres mal.
Die reizlose Seite des Humanismus
Widerwillige Untersuchung der Frage, ob der Dichter Peter Hacks ein Antisemit gewesen sei
Kurzessay
Erstveröffentlichung in: ARGOS No5, VAT Mainz, November 2009
Künstler wird, wer eine Artikulationsschwäche kompensieren muß.
Eine Leerstelle.
Nachdem der Dichter Peter Hacks gestorben war, häuften sich die öffentlich vorgetragenen Verdächtigungen, er hätte vielleicht ein heimliches Ressentiment gegen die Juden gehegt. Die Schwere der Vorwürfe reichte von der Beklommenheit, er hätte sich in der Frage nicht immer eindeutig und entschieden geäussert, bis hin zur unmissverständlich vorgestossenen Zeihung des offenen Antisemitismus 1.
So trug es sich zum Beispiel bei einer Podiumsdiskussion der Peter-Hacks-Gesellschaft zu, dass der Herausgeber Hermann Gremliza, mit dem Hacks einmal einen polemischen Disput über die Erbsubstanz deutscher Schuld geführt hatte, auf die Nachfrage des Moderators Rayk Wieland, wie es sich denn mit Hacksens Haltung zu den Juden verhielte, nach kurzem Bedenken versetzte: “Es gibt da eine Leerstelle bei Hacks.”2
Der Satz blieb unwidersprochen.
Zugegeben, einer Leerstelle läßt sich schwer widersprechen. Sie tut ja so, als sei sie ein Minimum an Behauptung, als sei sie eigentlich gar keine Behauptung von irgendwas. Fast liesse sie sich mit dem Einbekenntnis von Nichtwissen um einen Sachverhalt verwechseln. Aber Hermann Gremliza hat ja nicht gesagt, bei ihm wäre eine Leerstelle, sondern bei Hacks. Natürlich erzeugt die Behauptung einer Leerstelle inbetreff der Judenfrage Unwohlsein und Argwohn gegen den Leergestellten. Der Grund ist einfach, dass die Rede von der Leerstelle in Wirklichkeit ja nicht die Abwesenheit, sondern die Anwesenheit von etwas behauptet, nämlich von Mangel an Haltung in der Sache; einer Sache jedoch, in der man nicht haltungslos sein dürfe.
Gremlizas “Leerstellen”-Vorwurf hätte wohl unerwidert fortbestanden, wäre nicht der Publizist Ingo Way als jener Tropf aufgetreten, der schliesslich das Tintenfass zum Überlaufen bringt. Die betreffende Stelle bei Way lautete:
Wenn der Unternehmer Aron Kisch[1] bei Hacks tatsächlich jener vaterlandslose Kosmopolit ist, der sein Land schädigt, weil er “keines hat”, dann müsste ich Hacks bei der Wahl des Rollennamens, tatsächlich den Vorwurf des latenten Antisemitismus machen. Und das möchte ich eigentlich nicht müssen.
So wenig mochte Ingo Way das müssen, dass er mit diesem Wunsch seinen Aufsatz enden läßt; wir sehen sozusagen Ingo Way zur rhetorischen Watschn ausholend hinterm Vorhang verschwinden. Nun weiss niemand, warum er sein Stück mit dieser Geste beschliesst, aber dass es explizit auch eine Geste des Unwillens ist, wollen wir uns merken. Das Motiv klingt hier erstmals auf und wird uns fortan begleiten.
Untergärige Motive.
Zunächst sprang es auf mich über.
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