Kleinerer Gedanke, Überlegungs-Splitter:
Es gibt diese Behauptung, in der Natur würden keine aktualen Unendlichkeiten vorkommen. Höchstens vom Universum selbst wisse man nicht, ob es nicht vielleicht unendlich sei; aber alles in ihm enthaltene sei irgendwie endlich. Unendlich sei nur ein Konzept, auf das der denkende Geist verfalle; eine Konsequenz bestimmter (idR mathematischer) Überlegungen. In der wahren Wirklichkeit hingegen würde sowas nicht vorkommen.
Tatsächlich scheint mir vieles davon abzuhängen, was überhaupt man unter „unendlich“ versteht. Beim Nachdenken über diese Frage hatte ich kürzlich eine Einsicht, die vermutlich allen, die sich mit der Sache genauer auseinandersetzen, längst geläufig ist. Mir war sie neu. Sie hat mir durchaus Zufriedenstellung verursacht. Weswegen ich dachte, es wäre doch sicher nicht verfehlt, sie einfach und wenig zusammenhängend hier kund zu tun. Vielleicht findet jemand, der, wie ich, normalerweise weniger mit diesen Dingen befasst ist, einen Nutzen darin. Vielleicht ist der Gedanke ja auch falsch. Whatever. Er lautet wie folgt:
Die meiste Zeit meines Lebens hielt ich (abzählbar) „unendlich“ für sowas, wie das Resultat einer gewaltigen Zählunternehmung. Irgendwie das, was dabei heraus kommt, wenn man immer weiter zählt. Ich fürchte, das ist falsch. Falsch ist der „was dabei heraus kommt“—Teil. Bzw. der „Resultat“-Teil im Satz davor. Unendlich, will mir scheinen, ist kein Resultat von irgendwas; sondern das (permanente) Stattfinden dieses „irgendwas“. (Abzählbar) unendlich ist nicht das Resultat einer Zählung, sondern das „immer weiter zählen“ selbst. Ein Prozess, kein Ding. Ein Werden, kein Sein. Der als Einheit begriffene Prozess. Als würde man von der imaginären Person des (ewig) Zählenden wegzoomen, bis sie immer kleiner würde, immer kleiner; und auf einen Punkt zusammen schrumpfte, oder eine kleine Kapsel. Und der in dieser Kapsel stattfindende unermüdliche, nunja: endlos fortlaufende Prozess: Das ist Unendlich.
Und so gewappnet kann man sich im Universum nochmal anders umsehen: Gibt es Prozesse, die in sich immer weiter laufen? Der Unterschied sollte klar sein: Vorher hielt man nach Dingen Ausschau, die unendlich ausgedehnt oder unendlich schwer sind oder unendlich scharfe Kanten haben etc. Also Dinge, die irgendwie an sich unendlich zu sein schienen. Aber einen Prozess, der sich unendlich fortzuzeugen scheint, den würde man eher nicht als Kandidaten angesehen haben. Weil er das Unendliche scheinbar nicht aktual enthält, sondern nur in seinem Fortdenken. Aber genau das (meine ich begriffen zu haben) ist das aktual Unendliche. Die eingekapselte Ansicht eines (aktualen) Prozesses, für den es kein Ende zu geben scheint.*
Und es scheint tatsächlich, dass es sowas geben könnte. Raumzeit selbst nämlich (habe ich angelegenlich gehört) reproduziert sich auf geheimnisvolle Weise. Dieses Anwachsen von Raumzeit wird wohl als Kandidat für dunkle Energie angesehen. In unserem Zusammenhang ist egal, ob das „stimmt“. In unserem Zusammenhang ist nur von Belang, dass ein Phänomen dieser Art ein guter Kandidat für eine aktuale Unendlichkeit wäre. Und dass also die Frage durchaus nicht abgemacht scheint, ob es sowas in der „wahren Wirklichkeit“ gibt, oder nicht.
——
*Möglicherweise greift der Gedanke sogar noch weiter und das aktual Unendliche ist in jedem Prozess, bzw. jeder Bewegung enthalten. Ich denke an Zenon’s Pfeil-Paradoxon bzw. die Dialektik der Bewegung, die immer zu klären sucht (muss sie?), wie etwas zugleich an einem Ort und nicht am selben Ort sein kann (der Ort kann auch ein abstrakter Ort sein). I.d.R. wird das Problem durch die Bildung eines Grenzwertes gelöst; und also durch Bildung von Unendlichkeiten. Bilden wir diese Unendlichkeiten lediglich, oder sind sie nicht schon tatsächlich, aktual in den Bewegungen enthalten? Dann wäre das aktual Unendliche letztlich ein sehr allgemeines Fürwort für Prozesse; bzw. umgekehrt. Und diesen Gedanken finde ich dann überaus reizvoll.
:da capo:
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test
Vorab, dies ragt ins Philosophische, und ich bin kein Philosoph.
Das Bestreben, „Unendlich“ als „Wert“ aufzufassen, kenne ich aus der Schulzeit; damals konstruierte ich eine geometrische Zuordnung des reellen Zahlenstrahls auf den Kreis, so dass auf dem Kreis tatsächlich ein Punkt der „Zahl ‚Unendlich‘“ entsprach. – Schulzeit. Ungefähr zu der Zeit, als ich mit dem mechanischen Flipper aufhörte zugunsten von Beweisen.
Zur Natur. Die Annahme, die Raumzeit sei unendlich, ist eigentlich unplausibel, denn wir kennen nichts real unendliches für diesen Rückschluss. An der Nordseeküste sehen wir auch kein „anderes Ende“ der Welt, und doch ist die Erde endlich.
Aus der Rotverschiebung wissen wir von der Ausdehnung des Universums und berechnen ein endliches Alter (13,81Mrd. Jahre).
Der Widerspruch kommt jetzt: ebenfalls aus der Realität kennen wir die Regel „keine Aktion ohne Ursache“. Also folgern wir, der „Urknall“ – die Geburt unserer Raumzeit – müsse eine Ursache haben, ohne deren Physik verstehen zu müssen. Und diese Ursache ihrerseits zurück verfolgt … da steckt dann doch Unendlichkeit.
Die Philosophie überlasse ich den anderen. Mit Handkuss.
Nachtrag, die Rückverfolgung für die Ursache der Ursache (…) des Urknalls wäre dann „abzählbar unendlich“; ihre Menge hätte dann die Kardinalzahl „Aleph Null“.
(Wenn ich das mathematische Zeichen eingeben würde, würde mein Kommentar bei dieser Blog-Software in der Warteschleife für Freigabe festhängen.)