Mit fremden Federn, Nachdenklichkeiten

Ein Video zum Thema „Staatabschaffen aufgrund von Befindlichkeiten“

Ich rüste auf, ich werde modern. Damit mir der Zeitgeist nicht völlig einschnappt, weil ich ihn zugunsten des Weltgeistes vernachlässige, habe ich ein Video gemacht und bei DeineRöhre hochgeladen. Exakt am ersten Mai. Wenn das keine Punktlandung ist!

PS: Obwohl es ganz sicher zu den sieben Todsünden zählt, einen Witz zu erklären, hat das Video so viel Befremden hervor gerufen, daß ich mich genötigt finde, zu sündigen. (So ergibt man sich stets ins Laster: Unter Klagen & Protest!) Nun ist es ein alter Streit, ob Rockmusik oder Schlager, wie etwa Pankows olle Gabi-Kamelle überhaupt einen Grund für Ironie und Feinsinn abgeben könnten.

Zunächst einmal weiß ich aus erster Hand, daß Pankow – d.i. Herzberg, Ehle & Kirchmann, als kreativer Kern – selbst empfunden haben, keine simple U- oder Stimmungskunst zu machen, sondern daß sie mit einem Auge stets auf die hohe Kunst schielten. Aber gut, das haben die meisten Künstler, deren Werke dann als profan galten. Ich sage mal: Karl May. Immerhin, Pankow hat stets, wie es heute heißt: Subtexte transportiert. Es fing beim Bandnamen und den frühen Rockopern an, und ging auch später in den Texten („Langeweile“, „Straßenlärm“) und der Bühnenshow weiter. Ich bin wahrlich keine Spezialistin in diesen Dingen, aber soviel ist mir bekannt, daß es in der DDR zum guten Ton gehörte, politische Befindlichkeiten zu einer Haltung zu stilisieren und meist war sie auf eine kratzbürstige, kindische Weise staatskritsch.

Das war ein selbsterhaltendes System, denn der Staat verhielt sich ganz wie das benötigte Gegenstück zu derartigen Attitüden: Er liess sich provozieren, nahm den Künstlern ihre Pappe weg oder gängelte sie in anderer Weise. So rieb man sich aneinander. Other than that war das Ganze aber ein irgendwie funktionierendes Biotop. Man tingelte Jahr für Jahr durch die selben Kreiskulturhäuser, fand Begeisterung bei denen, die die Bedeutung jener Subtexte und Gesten verstanden und war, wennzwar im Kleinen unangepasst, im Großen und Ganzen doch zufrieden beim Spiel mit dem Feuer.

Nun ist die erzromantische Geste der Revolte immer schon die Seele des Rock n Roll gewesen. Er lotet Grenzen aus, ohne sie verstehen zu wollen; die Grenze ist ihm kein Gegenstand der Gestaltung sondern etwas Widerständiges, also ein Gegenstand des sich-selbst-Spürens. In dem Sinn ist er lockend, amüsant, nützlich, provokant und trivial – und all das zur selben Zeit.

(Wenn, im Übrigen, zu Guttenberg ein AC/DC-T-Shirt trägt, ist das der Beweis, daß es kein Rock n Roll mehr ist. Woran erkenntlich wird, daß Rock n Roll immer nur zu einer bestimmten Epoche Rock n Roll sein kann. Danach wird das selbe Stück Musik entweder profan oder große Kunst oder beides. Rezeptionsästhetik, anyone?)

Soweit vom Allgemeinen. Komme ich zu der „Wundersamen Geschichte von Gabi“. Der Text läßt ohne Zweifel mehrere Lesarten zu; die einfachste ist die Befindlichkeits- und Millieuschilderung eines Mädels aus irgendeinem schlimmen DDR-Kaff. Zweitens dann treten sexuelle Anspielungen und Phantasien hinzu. Drittens schliesslich, und hier wird es Rock n Roll, gibt es Textzeilen über Insubordination („Vater steckt sie die Zunge raus“ etc.) und vor allem von Grenzüberschreitung („Als der Globus endlich rollte und sie flog, wohin sie wollte“). Ob intendiert oder nicht – wer weiss das schon genau zu sagen – „Sie fliegt!“ wurde zur deutlichen Anspielung auf das Reiseverbot in der DDR oder zumindest als solche verstanden. Natürlich ging der Schlüssel zur Dechiffrierung solcher Botschaften nach dem Ende der DDR verloren und das Lied schrumpfte auf seine erste, maximal noch zweite Bedeutungsebene zusammen.

Hier setzt nun meine Hirn&Gurke-Exhumierung des langsam vor sich hin wesenden Liedgutes ein. Das Video soll dem Lied wieder eine dritte, eine politische Bedeutungsebene andichten. Ob’s gelungen ist, steht in einem anderen Blog, aber um welche Bedeutung es sich handelt, steht hier: Ich nehme also Gabis Befindlichkeiten und symbolisiere sie bildlich – den Anspielungen des Textes und einer alten Freude an der Vokalisation des Wortes folgend – als Gurke.

Natürlich kam mir das Titanic-Cover bei dieser Umsetzung sehr zupass. Hier wächst, besser gesagt: wuchert nun zusammen, was tatsächlich zusammen gehört. Der Rock n Roll als Geste der Revolte, die Unzufriedenheit und das Gefühl des Gegängelt- und Zurück-gesetzt-seins, dessen Ursache beim „Vater“, beim „kleinen Gitterfenster“, in der „Kleinheit von Blankerode“ etc. – nur mit Sicherheit nie in sich selbst – gesucht und stante pede gefunden wird. Man kann es so sagen: Rock n Roll ist immer auch Schuldzuweisung für das eigene Unvermögen, einen Sinn in die Welt zu bringen. Aber es ist, wenn er gut ist, wenn er echt ist, auch immer ein bisschen mehr, nicht allein die Schuldzuweisung, sondern auch das Spiel mit ihr, der kleine ironische Abstand.

Nun ist die implizite Behauptung des Videos, die DDR wäre aufgrund von Befindlichkeiten der in ihr lebenden Menschen zugrunde gegangen, historisch unwahr. Historisch hat die ehemalige Sowjetunion den Sozialismus aufgegeben und die Wiedervereinigung war ein Teil dieses Prozesses. Neben der einleuchtenden Überlegung, daß die DDR ohne Einwilligung Moskaus niemals kampflos an „den Westen“ gefallen wäre, gibt es unterdessen genügend Material, das diese Sicht der Dinge zur Unumstößlichkeit belegt.

Dennoch gibt es ein Selbstverständnis unter ehemaligen DDR-Bürgern, die sich entweder an den 89er Revolten beteiligt hatten oder vorher schon uneinverstanden mit ihrem Staat waren, sie hätten die DDR abgeschafft. Auf diese Einbildung zielt das Video; es beansprucht mithin keine historische Richtigkeit, sondern eine kulturkritische. Es beabsichtigt Reibung am Selbstverständnis der eingebildeten DDR-Abschaffer. Und dadurch, man staune!, durch diese Provokation des Zeitgeistes wird es wieder zu einer Art Rock n Roll.

Bis hier ging es um Text und Bilder. Es gibt ja noch die Musik. Auch mit der hat es seine passende Bewandnis. Die Ehle-Komposition basiert, um den Sachverhalt wohlwollend auszudrücken, auf dem alten Stones-Riff von „Gimme Shelter“. Ehle hielt sich sowieso für den Keef des Ostens, zumindest in seiner Rolle als Pankow-Gitarrist. Nun sind die Stones eben der Prototyp der Rock n Roll-Combo, die Revoltenmusik macht, ohne tatsächlich irgendeine gesellschaftliche Veränderung zu wünschen. „Street fighting man“, „Jumpin Jack Flash“ sind so Titel. Sie sind der Soundtrack einer ganzen Generation von Umstürzlern, die in Wirklichkeit große Angst vor dem Umstürzen empfanden. Stones-hören war sozusagen die Ersatzhandlung für das tatsächliche Umstürzen; die Handlung, die man verrichtete, um das echte Umstürzen nicht erledigen zu müssen.

Das Gute war, es hat einem ja auch fast so viel Ärger eingehandelt, als würde man tatsächlich etwas umstürzen. Vom Umstürzen konnte aber nie die Rede sein, wohin hätte man denn Stürzen sollen?! Es gab doch überhaupt keine Ideen, die praktisch durchführbar waren. Es waren, mit anderen Worten, nur Befindlichkeiten. Scheinbar ist es stets die Gurke, die das Hirn bezwingt.

Ein Freund von mir, auf den ich große Stücke halte, hat einmal gesagt, er könne sich bei der Wahl des schönsten deutschen Wortes nicht so recht zwischen Hirn und Gurke entscheiden. Ich falle ihm da uneingeschränkt bei. Es ist ein alter Kampf zwischen Hirn und Gurke und in Wirklichkeit ist er nach wie vor unentschieden. Man kann sagen, er hat mythologische Ausmasse. Aus Göttersicht ist nicht leicht zu entscheiden, welcher Seite man den Sieg wünschen soll, weswegen es immer Götter der Gurke und Götter des Hirns gab. Und den mit wechselndem Geschick geführten Kampf zwischen ihnen.

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2 Gedanken zu “Ein Video zum Thema „Staatabschaffen aufgrund von Befindlichkeiten“

  1. Packen Sie da nicht ein bisschen viel in das schöne, alte Lied? Andererseits: Warum auch nicht? Wenn sie Witz hat – und das ist in Ihrem Video ohne Zweifel der Fall – nimmt man gern eine kleine Überinterpretation in Kauf. Zur „Wundersamen Geschichte von Gabi“ im Ost-West-Kontext fällt mir ein, dass ich in meinen Disco-Zeiten in den neunziger Jahren, also schon im Westen, gerne „Wenn keiner mit mir tanzt, trink ich halt ne Cola“ zitierte, worauf mein Westkumpel Olaf zu antworten pflegte: „Hier im Westen geht das anders: Wenn keiner mit mir ne Cola trinkt, geh ich halt tanzen.“

    • Ja, stimmt schon, ich frachte da wohl einiges über die zulässige Tonnage in den Song. Andererseits, irgendwie war er ja ohnehin im Begriff, unterzugehen. Vielleicht ist das Video tatsächlich nicht mehr als ein letztes Salut, vielleicht aber auch kommt der Song nocheinmal in neuere Fahrwasser.

      In einer Welt natürlich, in der das Wegfliegen zu den erfüllbarsten und kommodesten Träumen überhaupt gehört, ist der Text so wenig provokant wie die empörerischen Flugschriften der Neocons. Heute isses ja Rock’nRoll, wenn man gerade nicht wegfliegt. Ick sahre nur „Keen Hawaii“ von Icke&Er.

      Rock’nRoll ist zählt eben, wie gesagt, zu den kleineren Kunstformen und unter denen wieder zu solchen, die aus einer gewissen Einseitigkeit und Übertreibung leben. Ich mag die Sorte Mutwilligkeit, solange man sie in dem Bewußtsein veranstaltet, daß es lediglich Mutwille ist; kein Mut.

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