Kindergeschichten

Karola Mistkäfer (1)

Vorgeschichte: Ein Mistkäfer am Nordpol

Erstes Kapitel: Ein Postbote bewahrt Haltung

Eckart Ton war ein frohgemuter Postbote und ließ sich auch von Frau Setzei nicht die Laune trüben. „Tach, Frau Setzei!“, lachte er über sein glänzendes Postbotengesicht, „Päckchen für Sie.“
„Aha.“, brummte Frau Setzei. „Geben Sie her!“ Sie war im Ort als schroffe Person bekannt.
„Wollen Sie denn gar nicht wissen, von wem es ist?“, erkundigte sich Eckart Ton.
„Nö.“, versetzte Frau Setzei, „ich weiß es ja schon.“
„Ach.“, machte Eckart mit enttäuschtem Ton.
„Von meinem Mann, dem Smutje Setzei.“, fuhr Frau Setzei fort. „Sie sehen doch: Es ist stark bereift.“
Tatsächlich war das Päckchen mit grauglitzerndem Rauhreif überzogen. Unter den schimmernden Wasserkristallen war zu lesen: „Nach Erhalt UNVERZÜGLICH öffnen!“ „UNVERZÜGLICH“ stand in grossen Lettern und unterstrichen.
„Treibt sich am Nordpol herum“, grantelte Frau Setzei, indem sie Eckart Ton die Haustür vor die Nase stiess, „und macht mir eine Hektik, als wäre ich sein Küchenjunge.“ Es mochte wohl berechtigt sein, dass sie für schroff galt.
Eckart Ton rieb sich die verhauene Nase, bestieg sein gelbes Postrad und fuhr damit quer über Frau Setzeis Rabatten davon. Wenn sich seine Laune durch Frau Setzeis Betragen vielleicht doch um ein winziges geschrägt hatte, so wurde sie durch diese Tat wieder ganz und gar ins Lot gehoben.

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Kindergeschichten

Wie Renate beinahe eine Kröte wurde

"Renate und die Kröte tauschten ihre Kleider." (c) 2008 Ekkehart Müller

"Renate und die Kröte tauschten ihre Kleider." (c) 2008 Ekkehard Müller

Morgen würde Renate sechs Jahre alt werden. Herrje, war Sie aufgeregt.

Eigentlich gefiel Renate durch Huld und Würde, aber wenn ihr Geburtstag nahte, dann konnte sie nicht einschlafen, selbst wenn die Eltern es befahlen.

Der Grund war natürlich, dass sie es nicht aushielt, endlich die Geschenke auspacken zu dürfen. Sie wusste auch schon genau, was darin sollte: Ein rosa Kleid mit Glitzer und Puffärmeln, dazu eine silberne Strumpfhose. Passend ein paar rote Ballettschuhe und – das war das wichtigste – eine Prinzessinnen-Krone.

Die Eltern hatten langweilige Vorschläge gemacht, was Renate sich besser wünschen sollte: Eine Schreibtafel mit Kreiden. Neue Malfarben mit sauberen Pinseln. Knete, die nicht ausgetrocknet war. Und so weiter.

„Liebe Eltern“, hatte Renate versetzt, „ich muss den Eindruck gewinnen, dass ihr mich nicht ernst nehmt.“

Dieses Tadels wollten die Eltern nicht schuldig sein. So kam es, dass Renate in ihren Geburtstagspaketen genau das Prinzessinnen-Zubehör fand, das sie sich gewünscht hatte. Rosakleid mit Glitzer und Puffärmeln, Silberstrumpfhose, dazu die roten Schuhe. Und die Krone.

Renate jubelte: „Vater!“, rief sie ein ums andere mal, und: „Mutter!“ – und wusste vor Entzücken gar nicht, was sie noch an Dankesworten hinzufügen sollte. Stracks zog sie all die Herrlichkeiten an und hüpfte durch die Wohnung.

Sie kam in die Küche, wo sie aus der Spülmaschine eine schartige Stimme zu hören meinte: „Hübsches Kind, komm näher!“ Wie Sie aber voll Neugier nachsah, schnellte ihr etwas entgegen, sie wurde in die Spülmaschine hinein gezogen und ehe sie sich versehen hatte schlug die Klappe hinter ihr zu.

„He“, rief sie, „ich bin doch kein Teller!“

„Na und“, antwortete die schartige Stimme, „ich bin ja auch keine Gabel.“

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