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Der freie Wille und die naturgesetzliche Bestimmtheit von Allem

Ob der freie Wille mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild vereinbar ist

Vortrag zur Woche der Kinder- und Jugendpsychiatrie 2024 auf Langeoog

Einleitung: Was steht fest in der Welt und was nicht?

Bevor ich beginne, möchte ich mich bei Annika Nietzel und Felix Bartels für die Einladung hierher, auf das schöne Langeoog bedanken — Dankeschön! Und das ist schon die wahrscheinlich kürzeste Einleitung zu meinem Thema.

Denn: Es könnte ja sein, dass Annika mich gar nicht aus freiem Willen eingeladen hätte, sondern alle vorherigen Ursachen einfach zwangsläufig dazu geführt haben, dass sie mich einladen musste; und ich hätte ebenfalls kommen müssen; und Sie alle müssen mir jetzt zuhören — und wozu und bei wem sollte ich mich da bedanken? Dank scheint nur da angebracht, wo etwas anders hätte kommen können; wo jemand aus freien Stücken hilft oder etwas Gutes tut. Und Dank ist auch nur glaubwürdig und bedeutungsvoll, wenn er aus freiem Entschluss ausgesprochen wird und nicht erzwungen wird, oder ein Automatismus, oder lediglich Folge einer Kausalkette ist.

Um solche und ähnliche Sachen soll es in den nächsten 45 Minuten gehen. — Der Vortrag ist das Resultat meines Herumrätselns, wie mein naturwissenschaftliches Weltbild mit der Idee vereinbar sei, dass wir am Steuer unseres Lebens sitzen und mit unseren Entscheidungen bestimmen, wie es in Zukunft mit uns (und in der Welt) weitergeht. Zwischen beiden Auffassungen — also der naturwissenschaftlichen und der eines autonomen Entscheiders — besteht eine Widersprüchlichkeit, die zwar nicht sofort ins Auge fällt, die aber, sobald man sie einmal gesehen hat, nicht mehr ungesehen gemacht werden kann.

Die Frage nach dem Widerspruch zwischen beiden Auffassungen glaube ich tatsächlich gelöst zu haben. Die gute Nachricht lautet, der freie Wille ist möglich; auch in einer vollständig naturgesetzlich bestimmten Welt. Natürlich werden trotzdem eine Menge ungelöster und schwieriger Rätsel bleiben.

Beginnen wir, um eine ungefähre Vorstellung der Denkaufgabe zu erhalten, mit der Beschreibung einer typischen Situation, in der wir unseren freien Willen ausüben. Nehmen wir eine Schülerin, die darüber nachdenkt, welchen Beruf sie ergreifen soll. Vielleicht Sterneköchin? Oder Ärztin? Oder doch lieber was mit Kunst?

Die Situation hat alles, was wesentlich für den freien Willen ist: Erstens, unsere Schülerin sitzt am Steuer, sie ist dabei, eine Richtung einzuschlagen, indem sie eine Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten trifft; zweitens, sie hat eine gewisse Zeit, über die Entscheidung nachzudenken (im Gegensatz zu raschen Entscheidungen, die ad hoc getroffen werden); drittens, unsere Schülerin ist in dem Sinne frei, ihre Entscheidung zu treffen, dass niemand sie zwingt, diesen oder jenen Beruf zu ergreifen.

Andererseits — und man beginnt das Wechselspiel zwischen Zwang und Freiheit zu erahnen — möchten die meisten Jugendlichen auch einen Beruf ergreifen. Es erscheint ihnen ganz unabhängig von der Notwendigkeit, Geld verdienen zu müssen, im Spektrum dessen, wie ein Leben überhaupt sinnvoll zu führen sei, erstrebenswert und sinnstiftend, nach einer Tätigkeit zu suchen, deren Verrichtung sie einen Großteil ihres Lebens widmen wollen. Die Vorstellung herrscht, der künftige Beruf könne Freude bereiten, in seinem Umfeld gäbe es interessante, bereichernde Menschen, Erfahrungen usw.

Sind solche Determinanten und Attraktoren freiheitsbegrenzend oder freiheitserweiternd? Allgemeiner: Welche Faktoren schränken unsere Freiheit ein und welche erweitern sie?

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Welterklärungen, Zehnte Klasse Leistungsstufe

Verblödung durch Drüberreden. Anmerkungen, Rechtfertigungen, Weiterungen.

Mich ereilte Kritik.

Mich ereilte Kritik. Ein Glück! Sonst wäre der Aufsatz jetzt zu Ende und ich müsste die Spülmaschine ausräumen. So kann ich das Geschirr leise rotten lassen und weiter schreiben. Das Ende ist das schönste Ende, nach dem es immer weiter geht. Ich bitte dann, selbstredend, um Kritik zur Kritik!

Na gut. Im Folgenden soll ein paar Einwänden entgegnet, einige Verdeutlichungen vorgenommen, einige Implikationen ausgeführt werden. Das Ganze soll nicht aus den Nähten platzen, aber doch im Mindesten drei Punkte verklaren: Erstens, die Frage, ob Stereotype vielleicht aus thesenökonomischen Gründen gebildet werden. Zweitens möchte ich den Einwand entkräften, meine Ideen würden allzusehr Handeln gegen Wahrnehmen setzen. Und drittens will ich ein paar heikle philosophische Implikationen der Idee skizzieren, dass Reden stets auch Sozialisationshandlung sei.

Sind Stereotype thesenökonomisch sinnvoll?

Mein Freund Erhardt Barth ist ein kluger Mann und ein KI-Forscher. KI bedeutet künstliche Intelligenz. Er hat einen guten Einwand gebracht; ob es ein Einwand ist oder eine Weiterung soll im folgenden untersucht werden.

Erhardt wandte mir ein, dass Stereotype durchaus sinnvolle Wirklichkeitsmodelle sein können, wenn man sich nämlich gezwungen findet, aus den Erfahrungen weniger Einzelfälle eine Hypothese abzuleiten.

Nehmen wir einmal an, unser Hirn wäre eine Art Problemlösemaschine, deren Funktion (zumindest zum Teil) darin bestünde, Hypothesen über die Wirklichkeit herzustellen. Diese Hypothesen sollen der Bewältigung der Wirklichkeit dergestalt dienen, dass mit ihrer Hilfe halbwegs verlässliche Aussagen über künftig eintretende Szenarien möglich würden. (Nichts anderes ist eine Hypothese, als eine Funktion, die von einer endlichen Anzahl an Beispielereignissen auf weitere (im besten Fall alle) Ereignisse der selben Kategorie extrapoliert.)

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Leistungsstufe, Nachdenklichkeiten, Welterklärungen

Verblödung durch Drüberreden — Hämophektiken des Stereotypverfertigens

Teil 1 : Wie aus Vielfalt Einfalt wird.

Rassismus ist ja eine Form von Dummheit. Soll jetzt mal kein Urteil sein, sondern eine Feststellung. Denn unzweifelhaft zeugt von Einfalt, alle Übel der Welt einer bestimmten Sorte Mensch anzulasten. Das wunderbare Wort „Einfalt“ faßt den ganzen Unsinn wie kein anderes: Die mannigfachen Ursachen des sich-so-Zutragens unserer Geschichte werden durch den Rassisten in eine einzige gefaltet: Der Jude wars, oder der Kanake, der Neger, der Muselmann.

Gewiss, es gibt Abstufungen der Schuldzuweisungen. Also etwa, dass der Kanake nur Schuld auf sich lädt, wenn er in unser Land kommt, während der Jude auch dann Schuld hat, wenn er bleibt, wo er ist. Oder der Muselmann, der schlimmer ist als der Neger, weil er vorsätzlich brandschatzt und mordet, während sich dieser durch abnorme Schnakselsucht inklusive Kinderindieweltsetzen eigentlich nur seiner dräuenden Altersarmut erwehren will. Und so weiter.

Schön blöd, das alles, nicht wahr? Wie aber kommt es dann, dass so viele Menschen anfällig für solche oder ähnliche Stereotype sind? Selbst kluge Menschen, selbst Leute mit ansonsten unbestechlichem Verstand? Selbst Leute, die vielleicht täglich ganz normalen Umgang mit Juden oder Türken pflegen?

Am Grunde des Durchschauens rassistischer Stereotype nämlich verbleibt eine Frage, die meines Erachtens immer noch ungelöst ist. Sie lautet: Wie kommt es zu der seltsam vereinheitlichten Wahrnehmung einer gemischten Gruppe von Menschen durch eine gemischte Gruppe von Menschen? Welcher Mechanismus bewirkt, dass aus Vielfalt Einfalt wird?

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Irgendwas mit Stammzellen, Welterklärungen, Zehnte Klasse Leistungsstufe

Wie ich eine ZEISS-Caster baute.

Röntgenmikroskope zu Stromgitarren! Eine reich bebilderte Homestory.

And now for something completely different: Gitarre bauen kann sehr viel cooler sein, als Gitarre spielen. Besonders, wenn man, wie ich, eher mittelgut spielt. Dann flüchtet man gern mal in die Metaebenen der Virtuosität.

Die unterste Metaebene ist das Bescheidwissen über Gitarren. Wobei man dann wieder unterscheiden muss zwischen dem absichtsvoll verdummenden Geschwätz von Gazetten wie “Gitarre und Bass” etc, und den Wissenshalden, die in Werken wie Zollners “Physik der Elektrogitarre” zusammen getragen wurden.

Irgendwo zwischen der Unbedarftheit der Prospekt-Gläubigen und den kunstfernen Kenntnissen der Physiker liegt das Halbwissen der Hobby-Gitarrenbauer und Self-made-Technicians. Damit ist die Höhenlage dieser Homestory abgesteckt. Nicht die hohen Gippel sind das Ziel. Es wird ein Spaziergang durchs Mittelgebirge. Aber seinen Anfang nimmt unser Ausflug im Tal. Ich möchte, will das meinen, mit einer lang schon fälligen Stänkerey gegen Paula beginnen.

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Gedichte

Giordano Bruno

 

Giordano Bruno

 

Auf seiner Kathedra Petri saß

Clemens und starrte verdrossen,

Zwei Stunden schon waren verflossen.

Zwei Stunden schon! Quälend, und ohne daß

Ihm beifiel, wie schwer er die Strafe bemaß.

– Es lies sich indes nicht vermeiden,

Er mußte die Sache entscheiden.

 

Der Fall, vom Grunde her beseh’n

War eigentlich leicht zu lösen:

Der Kerl mußte seinen Thesen

Pro Forma entsagen; – nur den Ideen,

Die Frevel waren. – Es wäre gescheh’n,

Wenn man ihm erklärte, wie ernst es stand

Dann, gewiss, widerriefe er kurzerhand.

 

Doch zornig steigt es in Clemens hoch

Wie oft hatte man schon probiert! 

Den Widerruf ihm souffliert,

Doch er zerriß ihn und lachte noch

„Glaubt ihr“ scholls aus dem Kerkerloch,

„Ihr könnt die Gedanken, die einmal gedacht,

Ungedacht machen durch Eure Macht?“

 

War Kühnheit das? Blödheit? Gottesgnad‘?

Die Stärke seiner Gedanken 

Spricht nicht für einen Kranken.

– Was ist’s mit seinem Postulat,

Die Sonne sollte an Erden statt

Der Welten Angel und Mitte sein?

Wo nimmt er das her? Wer gibt ihm das ein?

 

Wie kommt es, daß der sich so versteigt?

Und durch Gedankenmut

Den tiefsten Einblick tut,

Indes die heilige Schrift dazu schweigt.

– Wir wollen doch sehen, wem Gott sich neigt.

Und den Blick von der Erd hebt er auf in die Höh,

„Mit Gott, führt ihn morgen zum Autodafè!“

 

Giordano Bruno wurde am 17. Februar 1600 öffentlich verbrannt, weil er sich verschiedener Gotteslästerungen schuldig gemacht, und in keinen Widerruf eingewilligt hatte. Neben der Leugnung Jesu als Gottessohn vertrat er ein kopernikanisches Weltbild, die Unendlichkeit des Universums und ferner eine der ersten neuzeitlichen „viel-Welten-Theorien“.

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