Puh! Der Spuk ist vorbei und Gauck verschwindet wieder in der Berliner Puppenkiste. Klappe zu, Affe tot.
Ein säuerlicher Nachgeschmack bleibt. Als hätte man sich erbrochen.
Man weiss es nicht. Hat man? Sobald man sich zu einer Sache äussert, die schon in aller Munde ist, geht nicht mehr auszumachen, wer dann den schlechten Geschmack hat.
Nein, die Sache schmeckt mir ganz & gar nicht, auch wenn sie gewonnen ist. Schön, Gauck wurde irgendwie abserviert. So weit, so gut. Aber in Ansicht der großen Misère, die sich an der Sache sichtbar macht, ist mir das schon ganz Wurscht. Schlimme schlechter-Atem-Wurscht.
Dies ist die große Misère:
Die Berliner Puppenkiste ist schlecht gemacht. Alles an ihr. Das Stück, die Bühne, die Puppen, die Requisite, das ganze Drumherum. Das teuerste noch ist billig.
Das allein wäre nicht bedenklich. Wirklich mies ist, dass die Leute hingehen, obwohl nebenan die besten Bühnen auf sie warten. „Warten“ ist übrigens ein Euphemismus.
Das Gute, Schöne, Wahre muss sich feilbieten, als wäre es über dem Verfallsdatum. Wir leben in einer Zeit, deren Bewohner von zwei Dingen das häßlichere vorziehen, von zwei Taten die schlechtere und von zwei Sätzen die Lüge.
Es ist abersinnig bis zur Verrücktheit. Natürlich ist des Gutenschönenwahren erste Eigenart, gar kein Verfallsdatum zu besitzen. Oder doch in Zeiträumen zu vergehen, die unsere Lebenszeit übersteigen. Die Leute ziehen das Verfallbare vor. Was schlecht ist, genügt nicht. Es muß auch möglichst schnell noch schlechter werden. Das Verderbte muss verderben bis es stinkt. Das findet Beifall, Zuspruch, Aufmerksamkeit.
Wieso sich mir diese Verrücktheit ausgerechnet an dem eifernden Pfaffen Gauck eröffnet? Sehen Sie, ich führe hier seit gut zwei Jahren recht wenig betriebsam, man kann sagen: saumselig, mein geheimes Sudelbuch. Was ich hierein setze, beschäftigt sich mit Gegenständen, die unabhängig von Tageszeit und Wetterlage humorig oder bedenkenswert oder schön oder unterhaltsam sind. Ihr Verfallsdatum war ich stets bemüht, nach Jahren festzulegen, nicht nach Tagen.
Sie sind, wenn man will, Kunst oder Philosophie und manchmal eine Mischung aus beidem. Ich behaupte für diese Dinge keinen grossen Rang, aber ich behaupte ihre Gutgemachtheit. Man kann, wenn man über ein Aufnahmeorgan für derlei verfügt, Freude daran finden. Die Besucherzahlen in meinem Sudelbuch sagen mir: Allzu viele scheinen es nicht zu sein, die über dieses Aufnahmeorgan verfügen. Gut. Ist der erbauliche Ort eben wenig begangen.
Nun habe ich eine Ausnahme gemacht. Aus Versehen. Der eifernde Pfaffe ging mir auf die Nerven. Über diese Entnervtheit habe ich mich zu dem Fehler verleiten lassen, mich hier, im Sudelbuch, mit Tagespolitischem zu bemüssigen. Mit Dingen, deren Verfallsdatum übermorgen, spätestens nächste Woche ist.
Und plötzlich passiert etwas.
Plötzlich passiert, dass sich Horden in mein Sudelbuch klicken; der Traffic auf dieser Webseite steigt um Grössenordnungen. Kein Witz. Plötzlich herrscht Gedränge und Tumult. Es wird durcheinander genölt, geschwitzt, gestikuliert. Kein wenig begangener Ort mehr.
Aha, denke ich, so geht das. Man kann einen Staubsauger besser verkaufen, wenn man ihm Brüste anklebt. Ein Sudelbuch bekommt regen Leseandrang, wenn man ihm etwas Anstössiges auf den Buchdeckel klebt. Etwas Obszönes. Gauck.
Es trifft nicht zu. Einen barbusigen Staubsauger würde man am Ende dennoch zum Staubsaugen nehmen. Ein Buch mit einem Schundtitel würde man am Ende doch zum Lesen hernehmen. Indes, es hat sich nicht ereignet, dass die durch mein Sudelbuch sich wälzenden Hundertschaften irgendetwas anderes zur Hand genommen hätten, als den obszönen Buchdeckel. Keine zehn Prozent hat den erbaulichen Seiten dahinter auch nur einen Blick gegönnt.
Das Guteschönewahre, es steht neben dem Hochgejazzten wie das Aschenbrödel neben ihren aufgedonnerten Stiefschwestern. Mit dem Unterschied, dass Wirklichkeit ist: Der Prinz nimmt die mit den abgehackten Zehen und lebt glücklich bis an sein Lebensende.
Was ist an einem Artikel über Gauck interessanter, als an einem über den idealen Staat oder über Gottesbeweise? Die spinnen, die Bundis! (Zonis inbegriffen) Was haben die davon, dass sie an diesem Geschwurbel teilnehmen? Soweit ist es gekommen: Einst haben die Medien die Leute vor sich hergejagt. Heute jagen die Leute den Medien hinterher. Warum, in Dreigottesnamen?
Ich meine es todernst. Der Bundespräsident, wer immer es nun sei, wird nie irgendetwas sagen oder tun, das sich innerlich bedenken liesse. Selbst in der besten aller Welten würde er nie etwas erzeugen, das man tief bewundern oder seinen Kindern beibringen könnte. Er wird unserem Leben niemals irgendeine Art von Reichtum und Fülle schenken. Es ist nicht seines Amtes. Er ist, mit einem Wort, im Leben der Meisten eine Nebenfigur.
Im Leben derjenigen Meisten, die selbiges Leben daran wegwerfen, es heute mit dem Bundespräsidenten, morgen mit Guido Westerwelle und übermorgen mit einem anderen Schund zuzubringen. Wie geht das zusammen? Die Zeit, die wir auf etwas wenden, ist ein Maß für dessen Wichtigkeit. Wieso wenden wir die meiste Zeit auf Belangloses? Ist dies das tiefere Meinen von Demokratie? Soll das ganze Leben randvoll mit Betrieb angefüllt sein, damit man ganz vergisst, es auch zu bewältigen?
Ach, wäre es nur das Bewältigen! Es ist ja auch das Geniessen, das Amüsieren, das Lieben, das Hassen. Alles projiziert sich auf diese unwürdigen Gestalten und Gegenstände, deren Unwürdigkeit jeder umstandslos zugeben würde.
Es gibt nun eine Meinung, die sagt, das Platte wäre der Dünger des Hohen. Man könne sich nicht immer mit dem Gutenschönenwahren abgeben. Es strenge an. Es würde durch übermässigen Gebrauch gewöhnlich werden.
Das alles zugegeben. Es ist ja ein Strohmannargument. Ich behaupte nicht, man müsse. Und immer. Das Platte mag der Dünger des Hohen sein. Das Hohe, sage ich, hört auf, das Hohe zu sein, wenn niemand es für hoch ansieht. Wenn niemand es überhaupt nur ansieht.
Alle wollen düngen. Wozu denn, wenn niemand ernten will?